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Es ist: 10.02.2025, 23:10


The Courage to Continue
#1


The Courage to Continue
   Vincent Noyer   Baldur Hellissand
am 09.03.1953


Vincent Noyer starrte auf die massive Tür eines stattlichen Anwesens und bereute jede einzelne Handlung, die ihn an diesen Ort geführt hatte. Bereute jeden Schritt weg von dem Hostel und der angrenzenden Bar, der ihn vor die Eingangspforte einer neuen Chance geführt hatte. Eine Tür, die sich nur mit einer ordentlichen Portion Mut bewegen würde. Und Mut war etwas, das er bereits seit mehreren Minuten vergeblich suchte, während er seine Atemzüge zu einem kontrollierten Rhythmus zwang. 

Das hier war natürlich Korahs Idee gewesen. Sie hatte nicht aufgehört ihn auf mögliche Arbeitsplätze aufmerksam zu machen. Jeder Zettel war vor seine Augen, in seinen Schoß gelandet. Letztendlich hatte er klein beigegeben. Seine immer leerer werdenden Kapitalreserven hatten fast genauso laut danach geschrien, wie Korah selbst. 
Doch hier und jetzt stand nur eins im Vordergrund: Zweifel an dem Vorhaben.

“Ich mach das nicht.”

Die Vogeldame auf seiner Schulter plusterte sich auf und pickte ihn gezielt an der Stelle hinter seinem Ohr. 

“Oh doch! Ich kann das gleiche Essen tagein tagaus nicht mehr sehen. Du hast versprochen, dass du es wenigstens versuchst.”


“Aua”

, murmelte Vincent, doch seine scheuchende Hand erhob er nicht gegen sie. Er brachte es nicht über sich, sie von sich zu stoßen. Nicht wenn er ihr gutes Zureden mehr denn je brauchte. 

“Es wird nichts bringen. Ich habe doch keine Ahnung, wie man sich bewirbt. Und die Beschreibung der Stelle passt überhaupt nicht zu…”

“Ich habe ein ganz gutes Gefühl bei der Sache. Wir brauchen Geld, sonst sitzen wir bald auf der Straße, Vinci.” 

Ihr Picken dieses Mal war liebevoller und strich durch sein kurzes Haar. 

“Du machst das schon. Außerdem hab ich dich so schön rausgeputzt, jetzt musst du auch damit werben.”


Vincent stieß skeptisch die Luft aus, die sich in den frühen Morgenstunden des März sichtbar in der Kälte verflüchtigte. 

“Schöne Kleidung wird das auch nicht retten können.” 

Er holte tief Luft, doch das half nichts gegen sein wild klopfendes Herz. 

“Ich versuche es, aber keine Garantie, okay?”

Korah begegnete seinem Blick und blinzelte aufmunternd. Sie war ja so froh, dass sie Vincent endlich aus dem Nest hatte schubsen können. Als hätte er vergessen, dass er schon erwachsen war, und kein schutzbedürftiges Küken. Es war längst überfällig. Das Verstummungsgeld der Schwester fast aufgebraucht. Das Leben als Mensch war teuer, oh ja. Daher hatte Korah ihm seit Wochen die ein oder andere stibitzte Zeitung gebracht. Hatte sogar versucht die besten Stellenangebote auszureißen und ihm hinterherzutragen. Manchmal waren sie zu angeknabbert gewesen, doch mit der Stellenanzeige, die sie heute hierher gelotst hatte, hatte es doch geklappt.

“Los jetzt! Klopfen, oder ich übernehme das.”


Vincent schüttelte seinen Kopf, doch er klopfte gegen das Holz. Das dumpfe Geräusch hallte in seinem Kopf wieder. Oh Himmel, wieso tat er das hier überhaupt? Was sollte er sagen, wenn er gefragt wurde, wieso er seit mehreren Jahren keine Tätigkeit gehabt hatte? Fachfragen konnte er erst recht nicht beantworten. Das Gewicht Korah’s verschwand von seiner Schulter und sein Mut sank noch weiter. Natürlich spürte er sie noch in seinem Kopf. Und natürlich musste sie sich dematerialisieren. Aber es wäre so viel einfacher für ihn, wenn sie ihm durch dieses Gespräch aktiv helfen könnte. Immerhin war sie die Soziale von ihnen beiden.

Die Tür schwang auf und eine ältere Frau stand vor ihm. “Ja bitte?” Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Skeptisch. Definitiv kein Professor Baldur Hellissand, aber nicht weniger einschüchternd. Vincent musste seinen Impuls wegzulaufen runterschlucken. 

“Ich bin wegen … des Stellenangebots hier. Ähm, der Name, also mein Name ist Vincent Noyer.”

Na, das fing ja schon einmal gut an. Er gab sich eine mentale Ohrfeige. Die Gesichtszüge der Frau transformierten sich zu etwas, das zu weich für Missbilligung, zu neutral für Freundlichkeit war. Die Art wie sie die Augenbrauen leicht zusammenzog, wirkte fast mitleidig. “Kommen Sie bitte rein.” Sie führte ihn ohne ein weiteres Wort in einen nahegelegenen Raum mit einer Sitzecke. Dort ließ sie ihn zurück, um den Professor zu holen. 

Vincent war zu nervös, um sich zu setzen, also tigerte er durch den Raum, sah sich um, ohne ein einziges Detail wahrzunehmen.  Zumindest war er schon mal im Haus, doch das Schlimmste stand ihm noch bevor. Vincent hatte jedes einzelne Wort der Stellenbeschreibung vergessen. Sein Kopf war völlig blank, als er Schritte hinter sich hörte und sich in Richtung Tür drehte.
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#2


The Courage to Continue
   Vincent Noyer   Baldur Hellissand
am 09.03.1953


Es kostet Baldur einiges an Willenskraft, seinen Frust lediglich in einem tiefen Seuzfer auszudrücken und das Buch nicht direkt an die Tür zu werfen, die direkt gegenüber des Lesesessels war.

"So schlimm?", fragte Tiamat. Wie ein übergroßer, schuppiger Hocker lag sie vor dem Sessel und Baldurs Füße ruhten überschlagen auf ihrem Rücken.

"Ich habe denselben Absatz jetzt schon fünf Mal gelesen ..."

Er rang sich wirklich kläglich damit ab, sich auf dieses furchtbar trockene Buch zu konzentrieren, zu welchem er freundlichst eingeladen wurde, eine Rezension zu schreiben. Er hatte die letzten Tage schon mehrere Male überlegt, ob er das Ding nicht einfach wieder in das Höllenloch zurück schickte, dem es zweifellos entkrochen war -- aber zum einen hatte er eine Menge Geld dafür ausgegeben, sich das Leseexemplar in Braille übersetzen zu lassen und zum anderen kam er nicht um den Gedanken hin, dass die werten Kollegen genau wussten, was sie ihm da vorgesetzt hatten und er war trotzig genug (und ein bisschen zu stolz), um das nicht einfach so auf sich sitzen zu lassen.

Nun war er ja nicht gerade arm, und sein Vater war es erst recht nicht, aber er konnte sich trotzdem nicht einfach jedes beliebige Buch sonderanfertigen lassen -- sonst wäre er wirklich bald arm. Ganz zu schweigen davon, dass man den Menschen, der den Satz für diese absolute Papierverschwendung hatte legen müssen, dafür eigentlich extra bezahlen müsste -- der konnte einem wirklich leid tun. Hauptsächlich aber, tat Baldur sich einfach selbst gerade sehr leid.

"Na ja, was muss, das muss", räumte er ein.

Oder auch nicht.

Er dachte noch nicht mal darüber nach und nahm das Klopfen an der Tür seines Lesezimmers zum Anlass, das Buch umgehend zuzuschlagen. Mit einem klatschenden Geräusch trafen die beiden Buchhälften aufeinander. (Zum Glück hatte er sich dagegen entschieden, es gegen die Tür zu werfen, sonst hätte er es der armen Miss Bird vermutlich noch direkt gegen den Kopf geschleudert.)

"Bitte", ließ er Miss Bird herein. Aber vorher nahm er die Füße von Tiamats Rücken.

Miss Bird öffnete die Tür nur einen Spalt. "Jemand für Ihre Ausschreibung, Baldur. Er wartet im Empfangssalon auf Sie."

Baldur hatte Miss Bird nie davon abbringen können, ihn doch noch irgendwie formell anzusprechen, aber die Frau konnte zwischen Tonfällen wechseln wie kein anderer Mensch. Nur deshalb hatte sie sich drauf eingelassen, den 'jungen Meister Baldur' nicht mit 'Professor Doktor Hellisand' anzusprechen. Sie hatten sich ein wenig gezankt und Miss Bird hatte argumentiert, dass es ihrer Arbeit gegenüber respektlos sei, wenn sie ihren Arbeitgeber informell ansprechen müsste -- woraufhin Baldur argumentiert hatte, dass es ihm enorm unangenehm wäre, wenn sie beide so täten, als hätte Miss Bird ihm nicht als Säugling die Windeln gewechselt. Also einigten sie sich darauf, bei 'Sie, Baldur' und 'du, Miss Bird' zu bleiben -- so wie immer -- aber dass sie sich weigern würde, ihn in Hörweite von Außenstehenden mit dem Vornamen anzusprechen.

"Komme sofort", sagte er, sprang auf, pfefferte das Buch auf den Sessel und Tiamat dematerialisierte ohne Aufforderung. (Natürlich war sie zu neugierig um sich das Bewerbungsgespräch entgehen zu lassen.)

"Huch", entfuhr es Miss Bird bei dem unerwarteten Anblick dessen, wie Baldur mit einem Buch umging. "Ich kann den Herrn auch darum bitten, noch ein wenig zu warten, das ist sicher kein Problem." --wenn er eh arbeitslos ist, hing unausgesprochen nach.

Tiamat gab ein Kichern von sich -- es galt wahrscheinlich beidem: dem unausgesprochen Halbsatz von Miss Bird und der Schadenfreude dem Buch gegenüber.

"Nicht doch, Tiamat", sagte Baldur. Aber er konnte die Abgebrühtheit der beiden Damen durchaus verstehen -- die Bewerber, die teilweise aufgeschlagen waren in den letzte Wochen. Das konnte man keinem erzählen, was manche sich erlaubten. Und er selbst konnte seinen Unmut wenigstens an dem Buch auslassen.

Baldur rückte seine Sonnenbrille zurecht, aber der Langstock lag wohl verwahrt auf dem Sideboard im Foyer. Er lebte nun lange genug in dem Haus, dass seine Beine die Schritte für ihn übernahmen, ohne, dass er darüber nachdenken musste wo er hinlief.

Der Empfangssalon lag auf der anderen Seite des Foyers. Entweder war er früher für etwas anderes gedacht gewesen oder der Architekt hatte ein spannendes Konzept von Raumverteilung gehabt -- das Foyer war für Baldurs Geschmack nämlich viel zu groß und der Salon aber enorm gedrungen, ohne Fenster, und dunkel vertäfelt. Nicht, dass Baldur besonders viel von einem lichtdurchfluteten Raum hatte, aber zum einen nahm er Lichtvehältnisse immerhin schemenhaft wahr und zum anderen waren die Augen nicht das einzige, dem es nach Licht verlangte. Einmal war eine Strelitzie eingegangen, die im Foyer direkt neben der Tür des Salons gestanden hatte und Tiamat hatte darüber gescherzt, dass der angrenzende Salon ihr das ganze Licht genommen hätte.

"Der Name ist Noyer. Vincent", teilte Miss Bird ihm noch mit. "Viel Erfolg." Und damit zweigte sie in Richtung Treppe ab.

"Ich denke, wir haben einen Gewinner", sagte Tiamat ... laut.

"Tiamat!", warnte Baldur sie -- forsch, aber leise genug, dass der Bewerber ihn schlecht hören würde. Sie konnte doch nicht einfach hier herumschreien. Früher oder später müsste Baldurs Assistent zwar durchaus eingeweiht werden -- idealerweise zumindest, denn sonst, fürchtete Baldur, konnte er seine Arbeit nicht vernünftig machen und Tiamat hätte zudem einen ziemlich erbärmlichen Alltag.

Aber als Baldur durch die Tür trat, traf ihn die Welle. Sie hatte sich langsam aufgebäumt, aber das letzte Mal, dass er einen anderen Seinesgleichen getroffen hatte, war schon so lange her, dass es einen Moment gebraucht hatte -- und da hatte die Welle ihn schon mitgerissen. Er ließ sich für einen Moment durch die Strömung reißen, ließ sich treiben ...

Das kurze Räuspern war nach außen hin das einzig auffällige, das Aufschluss darüber gab, was grade in ihm vorgegangen war -- immer noch vorging. Aber Mr. Noyer dürfte es vermutlich ganz ähnlich gehen.

Baldur lächelte, konnte sich kaum beherrschen, um nicht zu grinsen als sei er nicht mehr ganz bei Sinnen. "Baldur Hellisand -- freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Noyer." Er streckte zur Begrüßung die Hand aus, in die Richtung, aus der die Welle auf ihn zugekommen war -- dort wo Mr. Noyer unweigerlich saß oder stand. "Sie sind eingestellt. Aber erzählen Sie mir doch noch etwas mehr über sich."
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