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Es ist: 03.12.2024, 01:01


Floating in the water
#1


Floating in the water
   Anthony Rothwell   Anahiel Blumfeld
am 02.04.1953


Hoffnung. Trügerische Hoffnung, die sich nach dem ersten Lichtblick, den die versprochene Hilfe mit sich brachte, recht schnell in Misstrauen gewandelt hatte. Nachdem die kleine Spatzdame verschwunden war, waren die Diskussionen um das weitere Vorgehen wieder entflammt. Der halbgare Fluchtplan über die Grenze wirkte genauso wenig vielversprechend wie der Gedanke, sich abermals auf jemanden verlassen zu müssen, den sie kaum kannten. Maggy sprach sich für Jonathan aus, doch bei den blanken Nerven der Katori war es kein Wunder, dass sie auf Misstrauen stieß. Insgeheim hatten sie alle gewusst, dass sie nicht viele andere Möglichkeiten hatten. Eingestehen wollte es sich niemand. Nicht direkt jedenfalls. Die Diskussionen waren gegen Nachmittag mehr und mehr in angespanntem Schweigen verebbt und die Katori hatten sich zum Nachdenken zurückgezogen. Sie wussten alle, dass sie eine Entscheidung fällen mussten. Aber bislang fühlte sich niemand bereit. Vermutlich würden sie sich auch morgen nicht bereit fühlen, wenn Heidi zurückkam. Aber dann würden sie es tun müssen.
 
Auch Thony hatte sich irgendwann zurückgezogen, um mit seinen Gedanken allein zu sein. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Maggy ihn plötzlich aus den Gedanken riss. Bislang hatte er sich dank seiner eigenen Verletzung aus der Versorgung herausgehalten. Zu seinem Glück hatte Maggy ursprünglich auch nichts von seinem Studium gewusst, aber inzwischen war auch diese Information zu ihr hindurchgesickert. Anthony hatte akzeptiert, dass seine Schonfrist vorüber war und Maggy hatte Hilfe mehr als verdient. Sie würden auf ewig in ihrer Schuld stehen. Ohne Wiederworte nahm er die Mullbinde und die Salbe entgegen und machte sich auf den Tipp der älteren Katori hin auf den Weg nach draußen, wo sie ihre Nichte vermutete. In Anbetracht der nahenden Dämmerung griff er nach einer der Gaslaternen auf der Veranda, ehe er den Waldrand ansteuerte. Unter einem ausladenden Baum konnte man tatsächlich eine unauffällige Gestalt erkennen. Zu unauffällig, wenn man an Anahiel dachte, die bis vor ein paar Tagen noch mit dem Blau ihrer Haare aus jeder Menschenmasse herausgestochen war. Sie alle hatten Wunden. Manche waren sichtbarer als andere.
 
Es war noch hell genug, dass Thony die flüchtige Geste nicht entging, mit der sie sich mit dem Handrücken über die Wange wischte, doch er war nicht hier, um sie damit zu konfrontieren. Er hätte ihr gerne ihre Ruhe gelassen. Ruhe, die sie alle brauchten und von der sie wussten, dass ihnen nicht mehr viel davon vergönnt sein würde. Anahiel konnte ihn kommen sehen, sodass er auf eine verbale Begrüßung verzichtete. Der Anflug eines Lächelns musste reichen, während er näher kam. Auf die Armschlinge verzichtete er immer häufiger, weil sie ihm vor Augen hielt, dass etwas nicht stimmte. So fiel es ihm einfacher, das Ziehen in seiner Schulter zu ignorieren. Solange er sie nicht beanspruchte, merkte er sie kaum.
 
„Maggy schickt mich.“, erklärte er seine Ankunft, weil es ihm wirklich fern lag, sie zu stören.
 
Seit sie hier waren, hatten sie sich – abgesehen von ihrem Gespräch bei den Volieren – kaum unterhalten. Die Gelegenheit hatte gefehlt. Die Energie. Anah gegenüber fühlte er sich noch immer besonders schuldig. Sie hatte am wenigsten mit diesem ganzen Drama zu tun, in das sie sie gezogen hatten. Aber er ging davon aus, dass sie das wusste. Auch, wenn sie sich eigentlich noch gar nicht so lange kannten, hatte Thony bei ihr das Gefühl, dass sie ihn besser kannte, als sie sollte. Nicht die ganzen Geschichten oder die Erlebnisse. Aber das, was in ihm vor sich ging. Vielleicht, weil sie teilweise gar nicht so unähnlich waren.
 
„Sie hat mich darum gebeten, mir deine Hand anzusehen.“
 
Ein stummes ‚danach bist du mich wieder los‘ lag in seinen Worten. Wenn sie das wollte, jedenfalls.
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#2


Floating in the water
   Anthony Rothwell   Anahiel Blumfeld
am 02.04.1953


Mit beiden Füßen auf dem Boden, die Beine viel zu lang, saß Anahiel auf der Baumschaukel und schwang langsam vor und zurück. Vor und zurück. Vor. Es gab kein Zurück mehr. Es ging immer nur vorwärts, egal wie sehr sich ihre Gedanken dagegen wehrten. Gerade blickten sie wieder einmal zurück. Ihre blauen Augen betrachteten den Garten vor sich und sahen eine andere Zeit. Die unbeschwerteste Zeit ihres Lebens. Ein anderes Leben.
Sie sah sich selbst und ihren Bruder als Kinder, wie sie einen Lederball über die Wiese kickten. Ihren Onkel Heinrich, der so tat, als könne er mit den Halbwüchsigen nicht mithalten und jedes Dribbeln absichtlich verlor, während Yeki und sie viel zu aufgedreht und laut waren. Im Hintergrund saßen Maggy und Zela jeweils auf einer Sonnenliege und lasen ein Buch. Maggys Ausdruck war weich und zufrieden, Zelas in typischer großer Schwester-Manier etwas genervt.
Dann sah sie sich und Yeki neben Hermann stehen, der gerade seinen Falken losgeschickt hatte, um ihnen das Jagen zu demonstrieren. Zuerst zurück kam stattdessen ein viel zu selbstgefälliger Yriho mit einer Maus im Schnabel. Ihr kindliches Gesicht grinste breit, sie hockte sich hin, um den Kopf des Adlers zu kraulen, froh, dass im Schutze der Falknerei ihr Seelenpartner nicht immer verborgen sein musste.

Anahiel stellte sich vor, dass die alte Schaukel neben ihr nicht leer wäre, erinnerte sich an das Gesicht ihres kleinen Bruders und an sein Lächeln. Wünschte sich, er wäre hier. Wünschte sich, er hätte niemals gehen müssen, wünschte sich, sie hätten immer hier bleiben können.
Wünschte sich, sie müsste nicht schon wieder gehen. Vermutlich für immer.

Das Blickfeld verschwamm und mit ihrer gesunden Hand strich sich Anah die Tränen aus den Augen. Zwölf Jahre lang hatte sie jeden Tag davon geträumt, wiederzukommen. An den Ort zurückzukehren, der sich mehr wie Zuhause anfühlte, als ihre gebürtige Heimat. In den dunkelsten Momenten des Krieges hatte sie sich daran festgehalten, dass es die Falknerei noch gab. In den Nachkriegsjahren war der Gedanke, hier irgendwann in Frieden leben zu können, fernab von Deutschland und all den schlimmen Erinnerungen, ihr einziger Antrieb gewesen.

Nicht mal einen ganzen Monat hatte der friedliche Rest ihres Lebens gehalten. Es war nicht fair. Nichts war je fair.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine Gestalt auftauchen, und als Anahiel den Kopf drehte, war Anthony auf dem Weg in ihre Richtung. Einmal tief ein und wieder ausatmend, wischte sie sich erneut mit dem Handrücken über die Wangen, drückte schnell ihren Knöchel gegen ihre Augenlider. Auch wenn sie sich vorstellen konnte, dass er ihre Bewegung sah, wollte sie den Lockenkopf nicht mit ihren Tränen konfrontieren. Auch ohne dass er es aussprach, wusste sie, dass er sich schon genug Vorwürfe über so ziemlich alles machte, worüber man sich nur Vorwürfe machen konnte.

„Ohje,” meinte sie und versuchte ein Lächeln in ihrer Stimme mitklingen zu lassen, als Thony sagte, warum er zu ihr kam. Sie räusperte sich, damit ihre Stimme weniger kratzte.

„Wenn sie extra den Doktor schickt, muss sie wohl schlimmer aussehen.”

Falscher Humor im Ton und ein gezwungenes Schmunzeln auf den Lippen. Anahiel konnte weiterhin nicht hinsehen, wenn Maggy ihre Hand verband. Sie pochte und schmerzte, aber da sie Schmerzmittel nahm, gab ihr das keinen großen Aufschluss darüber, ob die Wunde gut oder schlecht heilte. Immerhin war’s wohl noch keine Blutvergiftung. Vermutlich.
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#3


Floating in the water
   Anthony Rothwell   Anahiel Blumfeld
am 02.04.1953


In den meisten Momenten, in denen er mit den anderen interagierte, zwang er sich dazu, seine Gedanken bestmöglich auszustellen. Funktionieren statt denken. Sie alle hatten mit ihren eigenen Sorgen zu kämpfen, mit ihren Erinnerungen, ihrer Gegenwart, ihrer Zukunft. Sie alle hatten kaum mehr Kapazitäten für anderes und jeder hatte seine ganz eigenen Methoden, damit umzugehen. Manche gingen in der Fürsorge füreinander auf, andere suchten die Isolation, weil keine Kraft mehr übrig war, um die Schutzmauern aufrecht zu erhalten, die das eigene Befinden wenigstens etwas vor den anderen verborgen hielten. Anahiel und er gingen ähnlich damit um. Ein Grund mehr, weshalb es ihm eigentlich widerstrebte, sie aufzusuchen, während sie sich Raum und Zeit für sich nahm.

Das Mindeste, was er also tun konnte, war, ihre Tränen übergehen, als würde ihm nicht auffallen, dass ihre Augen verräterisch glasig waren. So, wie sie seine emotionale Situation übergangen hatte, als er sich in die Volieren zurückgezogen hatte. Das war er ihr ebenso schuldig. Er erwiderte den Anflug eines Lächelns auf ihren Lippen, auch wenn ihre kratzige Stimme ihm einen ehrlicheren Einblick in ihr Befinden gab. Aber ihm waren die Hände gebunden, um etwas daran zu ändern. Vielleicht würden die nächsten Tage Abhilfe verschaffen. Eine trügerische Hoffnung, der er selbst nicht glaubte. Doch sie wussten beide ebenso, dass sie keine Alternativen hatten.

„Ich hoffe, das hätte sie erwähnt. Früher schon.“, lächelte er schwach. „Irgendwie hat sie wohl mitbekommen, dass ich mich auch mal nützlich machen könnte. Meine Schonfrist ist also vorbei.“

Er seufzte, klang aber nicht danach, als wäre es allzu schlimm für ihn. Er hatte sich lang genug bedeckt gehalten und zurückgezogen. Länger, als es sich gehört hatte, aber er wusste auch, dass Keylam ihr zur Hand gegangen war.

„Davon ab traue ich dir durchaus zu, auch zu erkennen, wenn sich eine Wunde entzündet.“

Seine Stimme ließ den Witz missen, weil er nach allem, was er über die Dunkelhaarige wusste, ahnte, unter welchen Umständen sie das hatte lernen müssen. Nichts mit sicherer Umgebung. Nur bittere Realität und Verlust. Er konnte es nachempfinden.
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